Samstag, August 19, 2006

 

Türsteher

Dem deutschen Einzelhandel würde es deutlich besser gehen, könnten wir folgende Fragen beantworten: Warum stehen Menschen in Eingängen? Oder in Durchfahrten? An Rolltreppen? All diese Worte implizieren Bewegung. Aber diese Menschen verharren. In der Schiebetür auf dem Sensor stehend, hindern sie andere Kunden am Zutritt. Menschen ohne Bremsweg.

Erst letztens wieder aufem Weg innen Reahl treffe ich so eine Frau ohne Bremsweg: Urplötzlich stockt ihr Schritt und vereitelt so ein rechtzeitiges Ausweichmanöver. Rums! Meine Brille verbiegt schmerzhaft über meinen Augenbrauen, und ich spüre, wie in meiner Innentasche die Verpackung eines Schokoriegels platzt, während meine Zähne sich in einem muffigen Kamelhaarmantel verbeißen. Unter Abnuscheln um Verzeihung winselnder Unterwürfigkeiten entferne ich mich vorsichtig von der zeternden Türsteherin und beobachte aus dem Augenwinkel, wie sie in ihren Taschen nach irgendetwas gräbt.
Aha! Das Handy! - Nicht, dass das geklingelt hätte. Bestimmt findet sie aber genau diesen Augenblick perfekt, um sich nach 23 Jahren eisigen Schweigens endlich mal wieder bei ihrer glücklosen Schwiegertochter zu melden. Blöde Kuh. Ich zupfe mir die Haare aus den Zähnen, entsorge den Schokoriegel in einen Wühltisch und wische meine Hände unauffällig an einer burgunderfarbenen Damenbluse Größe 54 ab. Die könnte Frau Kamelhaarmantel übrigens passen...

Vichtelvoracht. Langsam wird meine Zeit knapp. Einige der obligatorischen Engpässe im Einzelhandel ließen sich locker lösen, forderte man alle Nicht- oder Nichtmehr-Erwerbstätigen auf, ihre ohnehin längst überfälligen und oft ebenso überflüssigen Besorgungen Montags bis Donnerstags zwischen neun und vier zu erledigen. Gleiches gälte, wenn ich watt zu sagen hätte, für Menschen, die mit einem jeweiligen Körpervolumen eines Satzes Breitreifen in Kleingruppen von mehr als zwei Breitreifensätzen auf beliebten Einkaufsstraßen flanieren. Bleibt ein solch filigranes Shoppingbataillon auch nur ganz kurz stehen – z. B. vor noch einer Pommesbude – laufen die Geschäfte jenseits der Blockade erst mal schlecht. Ebenso gut könnte man vor deren Tür ein Parkhaus errichten.

Apropos Parkhaus: Da findet man sie auch, die Blockademenschen. Die meisten Exemplare dieser Spezies blockieren, weil sie auch nach fünfundvierzig Jahren erstaunlicherweise unfallfreier Fahrpraxis noch nicht kapiert haben, dass ihr Wagen nach vorne nicht an der Windschutzscheibe endet, Ein- und Ausfahrten handelsüblicher Parkhäuser gerne mal für länger. Sie fahren bis auf wenige Zentimeter steil auf den Kartenautomaten zu, um dann festzustellen, dass sie die Kurve nicht mehr kriegen. Hier denken sie kurz nach, so zwei bis drei Minuten, und kommen zu dem Schluss, dass ein anderer Trick sie ins Innere des Parkhauses bringen muss. Darauf hin steigen sie aus, um jeden einzelnen der hinter ihnen Wartenden höflich und wortreich zu bitten, doch noch mal ein paar Meter zurückzusetzen. Den Wagen schließen sie so lange ab. Alternative: Die weniger überkommunikativen Vertreter ihrer Art bitten an dieser Stelle ihr auf dem Beifahrersitz fixiertes Frauchen, die peinliche Bettelaktion durchzuführen. Das Frauchen schält sich also aus Gurt und tiefem Sitz (Herbert! Mein Rücken! Ich hann jesacht, lass´ mer den Passat nehmen!), quetscht sich zwischen schmutzigen Stoßstangen auf die Fahrerseite der Warteschlange, zerreißt sich dabei die Strumpfhose (Herbert!) und verschwindet beleidigt im Laden, während Herbert sich noch damit plackt, drei Kisten Leergut vom Notsitz der Cobra zu entkeilen.

Aber zurück in den Laden: Die Bahn ist einigermaßen frei und meine Brille wieder halbwegs schlierenfrei. Zehn vor acht. Ein höflicher, aber bestimmter Hinweis auf die Öffnungszeiten per Lautsprecher verkündet, dass ich meinen Arsch bitteschön in absehbarer Zeit zur Kasse bewegen möchte. Vielen Dank für Ihren Einkauf. Also gut. Ich düse durch die Gänge, stapele Milch und Weißwein in meinen Karton, ein Paket Klopapier unter den Arm, fast fertig.

Beim Spurt auf das Kaffeeregal werde ich Zeugin, wie ein verhaltensgestörter Sechsjähriger Teekartons neu sortiert. Offenbar gefallen ihm einige der Kistchen weniger gut. Die lässt er mit einer derart souveränen Lässigkeit auf den Boden fallen, dass ich mich stirnrunzelnd frage, welcher Ignorant dieses unsympathische Balg wohl steuert. "Justin! Du lässt das bitte sofort bleiben!“ Aha! Kamelhaarmantel hat fertig gesmst und bei der Schlacht um den letzten Einkaufswagen ihre Gegner auf die Plätze verwiesen. Jetzt steuert sie, eine burgunderfarbene Damenbluse an Bord, zielstrebig auf die Sonderplatzierungen mit den Pralinenmischungen zu. Auf Höhe der Teekartons schnappt sie nach ihrem verzogenen Harry-Potter-Klon, der aber wieselflink in Richtung Glas und Porzellan wegtaucht. Hm.. Vielleicht doch nicht so unsympathisch, der Kleine...
Ich habe mein Zeug so weit zusammen. Und weil sich vor der Kasse inzwischen ohnehin Schlangen bis zum Snackregal ganz hinten gebildet haben, nehme ich mir noch eine Minute Zeit, um ebenfalls das Angebot an Schalen und Vasen zu inspizieren. Offensichtlich interessiert Justin sich eher für die hohen, aufwändigen, zwischen denen er mit seinem übergroßen Rucksack über der Schulter herumläuft. Die Gänge sind hier eigentlich etwas zu schmal. Während ich eine siebzig Zentimeter hohe Kostbarkeit sorgfältig knapp auf den Rand eines der unteren Regale platziere, stelle ich erstaunt fest, dass Harry Potter bisher tatsächlich unfallfrei geblieben ist. Ich geselle mich entspannt zu den Warteschlangen. Jetzt habe ich Zeit. Das Nötigste ist erledigt, ich zahle und räume gemächlich mein Zeug ein.


Weiter hinten höre ich eine schrille Stimme "Jaaastiiiin! Voor... – Scheiße!" und das Zerschmettern von schwerem Glas auf Fliesen. Schönes Wochenende wünsche ich der Kassiererin und schlendere zufrieden lächelnd ins Parkhaus. Ich muss unbedingt noch sehen, wie Herbert seine Cobra bändigt...


Comments:
Ja, ich liebe sie auch! Sehr angenehm ist das Samstag Nachnmittag am 3. Adventwochenende im Kaufhof Hohe Straße auf der Rolltreppe zur Spielzeugabteilung. In dem Moment hast Du nicht nur den Türsteher vor Dir sondern noch 1.137 genervte WeihnachtseinkäuferInnen hinter Dir. Die Gefahr, durch den Türsteher, der das selbstverständlich nicht merken wird, von zentnerschweren Weihnachtseinkäuferinnen totgetrampelt zu werden, ist recht hoch. Noch ein Grund, warum um diese Zeit die Innenstädte meide:-))

Hällllisch!
 
...au, ja! Und dann an der Kasse, nachdem sie es bis ganz vorne geschafft haben, sich wortreich erkundigen, ob das und das denn auch das Richtige sei für Kävvinn, Annabäll und wie se alle heißen..
 
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